Notfall an Bord - Herzinfarkt des Skippers
Eine sehr persönliche Geschichte mit Happy End

von Wolfgang



Nach der ersten Törnwoche erreichten wir Mitte Juli 2010 von unserem Heimathafen Zadar aus den geplanten Umkehrpunkt an der Süd-Ost-Ecke der Insel Brac, von wo aus wir gemütlich in weiteren 12 Tagen über Hvar und Vis wieder nach Zadar zurücksegeln wollten.

Wir - das waren meine Frau, meine erwachsene Tochter, eine Freundin meiner Tochter und ich als Skipper. Gegen Mittag motorten wir sonntags, von Hvar kommend, bei Windstille gemütlich durch die Bucht von Sunmartin und schauten uns dort vom Wasser aus das Städtchen und die dort vorhandenen Ankermöglichkeiten an. Wir machen das immer gerne, um möglichst viele Buchten der kroatischen Inselwelt kennenzulernen, die man ja irgendwann mal brauchen könnte, wenn es ernst wird.

Wir segeln seit 12 Jahren in Kroatien und haben schon so einiges erlebt. Dann fuhren wir weiter zur ca. 2 SM entfernten Rasotica-Bucht. In dieser relativ engen, sehr geschützten Bucht ankerten wir genau in der größten Mittagshitze mit Buganker und machten mit langer Heckleine an einem Felsen fest. Bei uns übernimmt bei allen Manövern meine Frau das Ruder und ich erledige die handwerklich schwerere Arbeit mit Anker, Leinen und Schoten. Ich kann übrigens überhaupt nicht verstehen, weshalb das immer noch so viele Crews umgekehrt machen. Ich segle seit über 40 Jahren mit sehr gemischten Crews und kann nicht bestätigen, dass generell Männer einen besseren Job am Ruder machen als Frauen - eher ist das genaue Gegenteil der Fall.

Bei diesem Ankermanöver spürte ich plötzlich die vielbeschriebene Enge in der Brust, eine heftige Atemnot und plötzlich auftretenden Schwindel, so dass ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Untrügliche Anzeichen eines Herzinfarktes. Ich schleppte mich sofort wieder unter das Sonnensegel und wusste: Das hier ist kein Spaß mehr. Meine Tochter schwamm sofort zu dem einzigen Boot, das außer uns in der Bucht lag und bat die kroatische Mannschaft, per Handy einen Notarzt zu verständigen, und ihm meine Handy-Nr. zu geben. Schon wenig später rief dieser bei mir an und ich konnte ihm, schwer atmend, die Symtome schildern. Er versprach, alles vorzubereiten, wir müssten allerdings sofort die 2 SM zurück nach Sunmartin fahren, da er die abgelegene Bucht nicht erreichen könne.
Wohl dem Skipper, der eine Mannschaft hat, die die Yacht alleine führen kann. Meine 3 Mädels legten also ab und fuhren zurück nach Sunmartin. Wir hatten nicht gedacht, dass sich unsere Besichtigungstour dort so schnell auszahlen würde. So wussten wir nämlich schon, dass es dort außer dem Fähranleger praktisch keine Möglichkeit gab, das Schiff an Land festzumachen. Natürlich kam unmittelbar hinter uns eine Fähre, als wir die Bucht erreichten und wir mussten abwarten, bis diese angelegt hatte.
An dem dann noch freien Platz legte meine Crew an. Eine Ärztin kam an Bord und versorgte mich für's Erste. Sie erschien mir sehr kompetent, freundlich und beruhigend und nach einer Spritze, einem Spray unter die Zunge und 2 Tabletten ging es mir schon etwas besser. Die Ärztin entschied, dass ich sofort in das Klinikum in Split musste und organisierte einen Hubschrauber, der ca. 20 Minuten später auf dem Berggipfel über Sunmartin landete. Dorthin wurde ich mit der Freundin meiner Tochter als Begleitperson per Sanka gebracht.
Der Armee-Helikopter war riesig, sehr alt und unglaublich laut. Ich fragte mich den ganzen Flug über, wie die beiden Ärzte an Bord ohne Ohrenschützer diese Lautstärke über längere Zeit aushalten können. Die drei Besatzungsmitglieder waren durch dicke Kopfhörer geschützt. Sowohl die Notärztin, als auch die anderen Betreuungspersonen waren überaus freundlich und machten ihren Job sehr überzeugend.

In der Klinik Split angekommen wurde ich sofort - an allen Wartenden vorbei - in die Notaufname gebracht, untersucht, versorgt und dann für zwei Tage in die Intensivstation der Kardiologischen Abteilung verlegt. Schon sehr bald erkannte ich, daß es sich bei der grossen Klinik der 230.000 Einwohner-Stadt Split um ein verbrauchtes, abbruchreifes Gebäude handelte. Die Wände waren schon lange nicht mehr gestrichen worden, überall Beschädigungen an Türen und Fenstern, die Jalousien waren allesamt defekt, die Betten auf jeden Fall Vorkriegsmodelle und die metallenen Nachtkästchen hatten erhebliche Rostschäden. Für eine Station mit ca. 50 Patienten gabe es nur zwei Duschen und vier Toiletten.
Später erfuhr ich, dass die neue Klinik in unmittelbarer Nachbarschaft schon in Betrieb genommen war und der riesige Altbau wohl wirklich in den letzten Zügen lag. Allerdings wurde dieses alte Gemäuer ständig und vorbildlich geputzt.
Am meisten überraschte mich jedoch, dass dieses Gebäude voll war mit freundlichen, hilfsbereiten Menschen, wie ich sie in all den Jahren in Kroatien kaum angetroffen hatte. Ob Ärzte/innen, Schwestern, sonstiges Personal oder Patienten/innen, wer nur konnte, kümmerten sich rührend um mich, obwohl ich den Eindruck hatte, dass ich unter all den Herzpatienten dort mit Abstand der Gesündeste war.
Wann immer sich zwei Leute des zahlreich vorhandenen Personals begegneten, wurden ein paar Sätze ausgetauscht. So wusste wirklich jeder dort - vom Chefarzt bis zur Putzfrau - über die Lage jedes einzelnen Patienten Bescheid und nahm regen Anteil an der Entwicklung. Das hatte zur Folge, dass man immer irgendjemanden fragen konnte und man bekam immer eine kompetente Antwort. Alles was Besucher zum Essen und Trinken mitbrachten, wurde von den Patienten stets im ganzen Zimmer verteilt. Als meine Frau mich nach 4 Tagen erstmals besuchen konnte und jede Menge frisches Obst mitbrachte, war ich froh, mich endlich für die vielen Freundlichkeiten revanchieren zu können.
Alle baulichen Unzulänglichkeiten und die sehr bescheidene Krankenhauskost wurden leicht durch die Herzlichkeit dieser Menschen wettgemacht. Und die Aussicht, die ich von meinem Krankenbett aus genoss, konnte in keinem Grandhotel besser sein. Ich sah - unter den defekten Jalousien hindurch - die blaue Adria mit Blick auf die Durchfahrt Brac - Solta und jede Menge Schiffsverkehr vor Split. "Natürlich" hatte man mir das Bett am Fenster überlassen.
Die Ärzte stellten tatsächlich einen Herzinfarkt bei mir fest und stellten mir frei, mich soweit zu stabilisieren, dass ich nach Deutschland gebracht werden könne, oder die nötige Herzkathederuntersuchung gleich in Split erledigen zu lassen. Mein Vertrauen in die medizinische Versorgung war inzwischen so stark, dass ich mich entschloss, mir den Herzkatheder gleich in Split setzen zu lassen. Diese Entscheidung wurde mit offensichtlicher Freude zur Kenntnis genommen. Am nächsten Tag wurde ich in den OP gebracht und sah dort eine technische Ausstattung (alles von Siemens), die ich mir moderner nicht hätte vorstellen können. Die Untersuchung verlief problemlos und zeigte, dass ich nach einer mehrtägigen Erholungsphase heimreisen konnte um dort alles Weitere machen zu lassen. Man gab mir die CD-Rom meiner Untersuchung mit. Als ich diese später meinem deutschen Kardiologen zeigte, meinte dieser, so perfeke Aufnahmen von Herzkranzgefäßen hätte er schon lange nicht mehr in der Hand gehabt.

Das war also meine Seite der Geschichte. Was passierte aber mit meiner Crew und dem Schiff?

Meiner Begleitperson wurde sofort durch einen Pfleger der Klinik eine bezahlbare Pension vermittelt, was in der Hochsaison in Split keine leichte Aufgabe ist. Dort blieb sie, bis meine Frau und meine Tochter das Boot zurück nach Zadar gebracht hatten, mich besuchten und sie mit dem Auto abholen konnten.

Meine Frau und meine Tochter legten, nachdem ich im Helikopter war, vom Fähranleger in Sunmartin ab und fuhren zurück in die Bucht, in der alles passiert war. Sie versuchten mehrfach dort zu ankern, fanden aber keinen verlässlichen Angergrund, dem sie bei einem heftigen Gewitter vertraut hätten, da sich inzwischen bedrohliche Gewitterwolken über dem Festland aufbauten. Also motorten sie wieder zurück nach Sunmartin um dort einen sicheren Ankerplatz zu finden oder zur Not auch wieder am Fähranleger festzumachen. Beim Einlaufen sahen sie eine Schwimmerin, der sie die Situation schilderten und die sie fragten, ob sie wisse, wo man hier festmachen könne. Die Frau - eine Ärztin aus Zagreb - verständigte ihren Bruder, der sofort auf das Schiff kam und es gekonnt bis in den hintersten Winkel der Bucht steuerte, wohin sich meine Crew nie getraut hätte, da das Hafenhandbuch dort eine zu geringe Wassertiefe zeigte. An einer Autotankstelle mit Seezapfhahn machte er fest und weihte den Tankwart in die Lage ein. Dieser sagt sofort zu, dass meine Crew dort liegen bleiben konnte solange sie wolle.
Inzwischen hatten meine Frau und meine Tochter beschlossen, die ca. 100 SM nach Zadar nicht alleine zu fahren. Sie gingen deshalb in das örtliche Fremdenverkehrsbüro, schilderten dort ihre Lage und eine sehr gut deutsch sprechende, wiederum sehr hilfsbereite Dame, versprach, eine Mannschaft zu besorgen. Am nächsten Morgen kamen zwei junge Kroaten an Bord und begleiteten meine Crew auf der Fahrt nach Zadar. Diese beiden kosteten 200,- € und wurden mit reichlich gutem Essen und 50,- € extra für ihre Hilfe belohnt. Alle anderen hilfsbereiten Menschen lehnten eine Bezahlung strickt ab und waren nur schwer dazu zu überreden, wenigstens eine Flasche Wein als Dank und Anerkennung anzunehmen.

Ich lag insgesamt 9 Tage in Split und habe dort zahlreiche Kroaten von einer ganz anderen Seite kennen gelernt als in all den Jahren davor. Mein Menschenbild gegenüber den Einheimischen hat sich sehr zum positiven verändert.

Als Tip möchte ich jedem Skipper an's Herz legen, die eigene Mannschaft soweit zu schulen, dass diese in der Lage sind, das Schiff bei Ausfall des Skippers in den nächsten, sicheren Hafen zu bringen.
Auch das Absetzen eines Seenot- oder Pan-Pan-Rufes sollte neben dem Skipper noch mindestens ein weiteres Crewmitglied beherrschen. Ich hatte Glück im Unglück und eine gute Mannschaft und dafür bin ich sehr dankbar.